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28.10.2013 | Zeit online
Ethik, Dogma oder Lifestyle?
Vegan
 


Veganismus ist das neue Heilsversprechen der Konsumgesellschaft. Die Bewegung gewinnt Einfluss – und bietet Raum für Selbstdarsteller, Verkäufer und Glaubenskrieger. VON 


 

Wer jetzt ein Thema für den nächsten Bestseller sucht, für den hat derBuchmarkt eine klare Empfehlung: Veganismus. Das Interesse der Leser an einem Leben ohne Tierprodukte wächst und wächst, das zeigen die jüngsten Branchendaten.

Als Hollywoodstars wie Natalie Portman und Tobey Maguire vor einigen Jahren den Veganismus mit ihrem Bekenntnis vergoldeten, begann der sagenhafte Aufstieg eines Nischenthemas. Heute stellen Frauenzeitschriften mit Vorliebe Lippenstifte ohne Seidenprotein vor, und wer vegane Mode entwirft, hat gute Chancen, seine Kollektion an Gwyneth Paltrow zu verkaufen. In den Buchhandlungen stapeln sich vegane Kochbücher, bei Rewe füllen Tofu-Produkte die Regale und beim Dinner mit Freunden wird zum Nachtisch Panna Cotta aus Mandelmus gereicht.

Hinter dem Verzicht auf Fleisch, Fisch, Milch, Sahne und Eier, auf Wollpullover, Lederschuhe und Daunendecken steht zunächst einmal eine bewusste und idealistische Lebenshaltung. Viele Menschen entscheiden sich für diesen Lebensstil, weil sie überzeugt davon sind, dass zu viele Tiere gequält werden und sterben, um unseren Konsumhunger zu stillen. 


Heilung für den gebeutelten Konsumenten
Wie viele Deutsche heute vegan leben, ist nicht empirisch belegt. Die Nationale Verzehrstudie im Auftrag des Bundesernährungsministeriums hat im Jahr 2006 rund 80.000 vegane Bundesbürger gefunden. Vegane Interessensverbände behaupten, es gebe heute bereits bis zu 600.000 Veganer. 

In den USA ist das vegane Leben auf dem besten Weg, sich kulinarisch und gesellschaftlich zu etablieren. In Los Angeles und Portland, den Hauptstädten der Bewegung, gibt es kaum noch ein Restaurant ohne vegane Alternativen auf der Karte. 

Auch in Deutschland lebt der Neu-Veganer dieser Tage mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Großstadt.

Denn nirgendwo ist die Entfremdung von unserer Nahrung so gravierend wie dort. Essen ist in Metropolen ein soziales Ereignis, Restaurants sind die alltäglichen Bühnen der Eitelkeiten und Refugien alternativer Lebensstile. Zugleich inszenieren neue Blogs und Hochglanzmagazine, die zwischen Berlin, New York und Sydney entstehen, Burger und Blechkuchen wie Kunstwerke. Auf der anderen Seite gilt die Nahrungsaufnahme als zeitraubendes Bedürfnis, das mit Fast Food und Kaffee im Pappbecher befriedigt wird.

Nur die wenigsten Großstädter sehen noch mit eigenen Augen, wo ihre Nahrung herkommt. Stattdessen berichten Fernsehen, Zeitungen und Internet regelmäßig von Fleischskandalen und verseuchten Bio-Eiern.

Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer brachte 2009 mit seinem Sachbuch Tiere essen die Empörung über das Leiden von Tier und Mensch in der industriellen Lebensmittelproduktion in die Feuilletons. Als Konsequenz aus Entfremdung und Skandalisierung verzichten nun immer mehr Menschen vollständig auf tierische Nahrung. Die vegane Ernährung, für ein paar Monate oder ein ganzes Leben, verspricht dem gebeutelten Konsumenten Heilung. 

 

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